Home is.

Home is where your heart is. Home is where you find me. Home is where the key fits. Home is where there is no doubt. Home is whereever I’m with you. Home is where it happens. Home is where it feels like home. Home is where I ask you if you want Pizza for dinner and you say you just wanted to ask me the same and I say that’s awesome but I don’t want any mushrooms on my slices and you say I don’t like mushrooms either and I look at you and I have done that so many times before but I have the feeling I never really saw you as much as in this very moment and you smile and I say yes though there was no question to answer and you say yes as well and the pizza tastes great afterwards.

Ich schrieb einen Text für ein Theater. Es geht um Heimat und über die Liebe. Es geht um Enden und es geht um Zeitungabonnements. Es geht ein wenig um mich, das wollte ich erst nicht wahrhaben, aber wusste es dennoch von Anfang an. Er beginnt mit dem Satz „Man sagt man hat Rauch gesehen.“ Irgendwo in der Mitte heißt es „Mit der Erinnerung ist es nämlich so: Sie wird wahr, sobald auch nur eine Person an sie glaubt.“ und am Schluss stirbt ein Huhn. Es ist mittlerweile ein Monat her, dass ich diesen Text schrieb, dazwischen schlief ich tief, öffnete eine Flasche Portwein und las die Sätze, die immer mehr wurden, immer wieder einer Person vor, die auch immer mehr wurde. Wir saßen uns dabei gegenüber und die Person hatte die Augen geschlossen. Bis heute weiß ich nicht, ob mich das mehr beruhigte oder beunruhigte, aber ich weiß noch, ich war unschlüssig, was ich mit meinen Händen tun sollte, sobald der Text ein Ende fand und was mit meiner Stimme und meinem Mund. Die Person schien das nicht zu stören. Sie hatte zugehört und sagte Dinge, die sehr viel Sinn machten. Und als wir später schlafen gingen, blieben all die Sorgen wach und verließen ohne uns aus dem Haus.

Ich bin umgezogen. Weg aus Wien, dieser Stadt, an der ich so hänge. Weg von diesen Menschen, die mir soviel bedeuten. Und nun sitze ich in einer schwäbischen Kleinstadt und habe ein Schloss vorm Haus, einen Kaffeeberg ums Eck und eine Akademie 10 Gehminuten entfernt, an der ich von Montag an nochmal das mit dem Studieren üben soll. Man denkt viel in Zeitspannen, seit das mit dem Umzug plötzlich ernst wurde. Man übt sich wieder im Countdown zählen, das kann man ja immer noch ganz gut. Man wundert sich darüber, dass man das wirklich gemacht hat, dass man jetzt wirklich hier sitzt und nachmittags auf dem Markt Postkarten kaufte, in dieser Stadt von der man noch vor weniger als einer Woche nicht so recht glauben konnte, dass es sie wirklich gibt. Im Innenhof des Hauses stehen die Menschen auf Bänken und grölen zu Liedern, die man alle auch mitgrölen könnte, sie zücken ihre Fotoapparate und es blitzt immer kurz. Ich denke dann an den Sommer, bei jedem Blitzen, ich denke an einen See, an dem es nachts auch so geblitzt hat und in dem vielleicht ein Ungeheuer wohnt, das noch nie jemand gesehen hat und das umgekehrt die Menschen noch nie gesehen hat, die an den warmen Tagen in Ruderbooten über seinem Kopf hinwegfahren, die von Felsen springen und abends in Zelten schlafen, morgens Zelten essen und dann die Zelte wieder einpacken, zurück in Städte fahren oder Siedlungen, und im Radio spielt es dabei ein Feature über Tarzan, das allerdings seltsam belanglos ist, vielleicht auch zu recht.

Mit dem Umzug hat irgendwie der Herbst begonnen. Eigentlich hat er das wohl schon früher, aber jetzt ist es wirklich soweit. In den Rollen des Koffers verfingen sich die Kastanien, als man spätabends die zwei Busstationen, die man zu weit gefahren war, zu Fuß zurückging und auf dem Weg zum Markt trägt man eine Mütze, aus Prinzip macht man das, nur aus Prinzip. Wie schnell manchmal die Zeit vergeht, denke ich, da ticken in meinem Rücken die vier Uhren die in der Küche hängen und die ich bis vor zwei Tagen nur von Fotos kannte. Wie spät man das immer merkt, denke ich auch, da ticken sie immer noch und ich habe bereits drei Zwetschken gegessen in diesem Moment, in diesem Land, in dem man diese Früchte eigentlich mit „g“ schreibt, aus mir unerklärlichen Gründen.
Jedenfalls ist der Sommer vorbei über den es viel zu berichten gäbe, an anderer Stelle vielleicht. Über sovieles, das auch im Herbst noch da ist, über sovieles, das auch im Herbst noch wahr ist.

Nur soviel sei gesagt:

Im Süden von Tschechien laufen an einem Samstag Anfang August die Spatzen über die Straße.  Kurz davor hat man ein Bild gemacht, es zeigt eine Person die freihändig einige Meter vor einem einen Feldweg entlang Fahrrad fährt und dabei die Arme von sich streckt. Die Arme flattern ein wenig, der Rücken ist still. Es tönt kein Laut von den Feldern ringsum, der Himmel zählt vier Wolken. Das Bild existiert nur in meinem Kopf.

Vielleicht Irland und Atlantik

Im Winter erinnerte mich die Schulter des Mannes an etwas das Bestand haben könnte. Vielleicht auch an etwas Rettendes. An etwas wie einen Leuchtturm samt Leuchtturmwärter, an einer stürmisches Küste. Vielleicht Irland und Atlantik. Vielleicht Neuseeland und Pazifik. Jedenfalls legte ich meine Stirn an sie und schlief tief und fest und morgens war einfach so ein neuer Tag und der Mann stand vor mir auf und auf dem Weg zur Arbeit begegnete er keiner Frau die auch nur im Ansatz so schön war wie ich.

Im Frühjahr dann war das schon nicht mehr ganz wahr. Da war es glaube ich nur noch ein Leuchtturm in der Nordsee oder im Indik und das ist wahrlich ein schiefes Bild. Niemand denkt an den Indischen Ozean, wenn er an Leuchttürme denkt und auch ich tat das nicht und vielleicht fingen damit die Probleme an die sich auch im Sommer nicht verflüchtigten sondern über die längst gekrümmten Rücken wuchsen und nachts dann zwischen einem schliefen, einen kurz kniffen im Tiefschlaf und morgens so taten, als wären sie an gar nichts Schuld. Als hätten sie eine Berechtigung da zu sein, als würden sie zu einem gehören und man zu ihnen. Und man glaubte ihnen so einfach, so einfach und viel zu lange.

Dann irgendwann Herbst, ohne Schultern, vielleicht noch mit dem Glauben an Leuchttürme, aber ein wenig verschwommen. Jedenfalls ohne Schultern oder zumindest ohne konstante. Auch egal. Der Herbst war gut, dennoch oder deswegen und manchmal saß man in der U-Bahn und sah aus dem Fenster vor dem immer alles richtig erschien und stieg trotzdem nicht aus. Man tanzte durch Nächte, man lag betrunken auf Ringelspielen, man blickte sich selten um.

Ich würde mein gesamtes Jahr gerne in Vergleichen erzählen, in denen lateinische Wörter und immer mindestens ein Körperteil vorkommt. Aber das wäre ziemlich albern, nicht nur, weil das Jahr noch nicht vorbei ist. So bleiben mir momentan nur diese Zeilen über Schultern und Ozeane an denen man schon viel zu lange nicht mehr war. In den letzten Wochen saß manchmal eine Person neben mir, an die gelehnt mein Kopf zur Ruhe kam und als diese das ein oder andre Wort in der richtigen Art und Weise betonte, da glaubte ich, dass wir von der gleichen Sehnsucht sprechen, wenn wir es versuchen würden. Ich muss ganz ehrlich sagen: in diesem Winter, in dem man die Schneemänner den Kanal hinunterrinnen sieht noch ehe sie geboren wurden, – in diesem Winter da reicht das aus um sich zu wundern, über die Liebe und das was dazu führen könnte.

Herbst

Als Bernd weg war, begann Anna zu warten. Sie tat dies morgens, in dem sie im Bett liegen blieb und an die Decke starrte. Sie tat dies am Frühstückstisch indem sie das Wasser auch dann nicht vom Herd nahm, als es schon kochte. Sie tat die tagsüber indem sie eine Bahn nach der anderen an sich vorbeifahren ließ, unfähig sich in Bewegung zu setzen.

Auch Telefone ließ sie läuten, sie, die sie früher immer sofort aufgesprungen und zum Apparat gelaufen war, erklang nur der Ansatz eines Klingelns. Anna saß einfach da nun und wartete, bis das Läuten vorbei war, dann erhob sie sich langsam und wusste nicht wohin mit sich.

Den Briefkasten leerte sie nur noch alle drei Tage. An dem Tag an dem sich der erste Brief von Bernd darin befand, trug Anna ein weißes T-Shirt mit aufgenähten Taschen. Sie steckte den Brief in eine davon, ging bedächtig zurück in die Wohnung, sie setzte sich auf das Bett, bald schon verlagerte sie ihre Position ins Liegen und schlief kurz ein. Als sie aufwachte und den Brief öffnete, verstand sie nichts. Nicht den Brief, seine Worte, nicht Bernd, nicht sich. Sie beschloss das Alles hinzunehmen, sie beschloss an dem Tag nicht mehr vors Haus zu gehen, Bernd nicht zu antworten und einfach für sich zu sein, so wie sie es war, seit Wochen.

Anna hatte nicht sofort nach Bernds Abschied angefangen zu warten. Sie war aufgewacht und Bernd war weg. Das war keine Überraschung und dennoch weinte Anna stumm in ihren Polster, bevor sie eine Unruhe befiel und sie aufsprang, hastig ein Butterbrot hinunterwürgte, sich in die Kleidung vom Vortag zwängte und ein geblümtes Tuch um den Hals band. Sie rannte auf die Straße, sie rannte diese hinunter, rannte um zwei Ecken, über eine Ampel und drehte sich nicht einmal um. Sie wurde wütender mit jedem Schritt, sie wurde entschlossener, sie ballte ihre Hände zu Fäusten und wäre es Bernd eingefallen in diesem Moment umzudrehen, den Flieger nicht zu nehmen und zurückzukehren zu Anna, sie hätte ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, sie hätte mit hysterischer Stimme Worte gesagt, über deren Existenz sie sich bis dahin nicht sicher war. Bernd hat also ein Gutes daran getan, in diesem Moment längst im Flieger zu sitzen und gerade ein wenig zu schlafen, mit Kopfhörern auf den Ohren und einem älteren Mann neben sich, der ohne Unterlass die Financal Times las.

Annas innere Aufruhr endete abrupt als sie ankam, vor dieser Tür, vor der sie länger nicht mehr gestanden hatte. Sie stand unschlüssig da und war sich nicht mehr sicher, was sie hier eigentlich suchte, was zu sagen sei und ob Veronika nicht die letzte Person auf der Welt wäre, die von all dem erfahren sollte. Aber Veronika, Veronika mit dem schwarzen Haar und den Blicken für Bernd, von denen sich Anna wünschte dass sie die einzige wäre die deren mächtig sei, Veronika war die einzige Person an die Anna denken konnte, von der sich glaubte, sie könne ein wenig verstehen, ein wenig Halt geben, ihr ein wenig von der Trauer und der Wut abnehmen. Als Anna nach endlosen Minuten endlich klopfte und Veronika sofort die Tür öffnete, wusste Anna bereits dass sie sich getäuscht hatte und niemand ihr helfen konnte, am wenigsten diese Frau in dem langen Rock, die sagte: „Anna, ich beobachte dich seit zehn Minuten.“

Danach hat das mit dem Warten angefangen. Anna hat noch Sätze gesagt, in Veronikas Haus, deren Wahrheitsgehalt sie sich gar nicht mehr so sicher war, Anna hat noch hastig ein Glas Wasser getrunken, Anna ging die Treppen vor Veronikas Haus hinunter, drehte sich nicht um und es begann. Es begann einfach so, dieses Warten, das bald in all ihren Knochen wohnen sollte, das sogar im Schlaf nicht aufhörte und sie selten das Haus verlassen ließ. Kamen Freunde vorbei und brachten Essen und sagten (manchmal besorgt, immer öfters ungeduldig), dass Anna sich aufraffen und mit ihnen ins Kino, in den Park, ans Meer kommen sollte, dann schüttelte Anna immer nur den Kopf, manchmal lächelte sie dabei, nie hörte sie ihnen wirklich zu. Sie sagte, sie käme schon zurecht, es wäre das Wetter, vielleicht. Fragten die Freunde ob Bernd sich gemeldet hätte, dann sagte Anna, dass er das ab und an wohl gemacht hätte. Es gehe ihm schon gut. Sie sagte sonst nichts, sie starrte aus dem Fenster, sie starrte und starrte und die Freunde kamen immer seltener.

Der Oktober kam, die Blätter wurden immer bunter, Anna nahm Kastanien mit nach Hause und legte sie aufs Fensterbrett. Manchmal läutete das Telefon und Anna hob immer noch sehr selten ab, machte sie es doch und Bernd war am anderen Ende der Leitung so hörte sie ihm schweigend zu, sagte sie könne das nicht und legte auf. Sie baute danach Pyramiden aus den Kastanien, die dann solange stehen blieben, bis sie diese beim nächsten Telefonat wieder abbaute.

Irgendwann läutete das Telefon wieder einmal und Anna hob schweigend ab, am anderen Ende hörte sie eine leise, eine vertraute Stimme. „Anna,“ sagte diese, „wann kommst du denn mal wieder zu Besuch?“ Und Anna sagte einfach so: „Morgen schon.“ Die Stimme klang erfreut, sie sagte, sie mache Kuchen und Anna antwortete: „Das ist doch nicht nötig.“

Anna hatte ihre Großmutter tatsächlich schon länger nicht mehr besucht, Monate war es her und damals war Bernd noch an ihrer Seite gewesen. Sie hatten einen Zug früh morgens genommen und saßen Hände haltend in einem Großraumabteil, während die Stadt vor dem Fenster langsam weniger wurde und die Felder mehr. Sie durchquerten drei andere kleinere Städte und unzählige Dörfer. Als sie ihr Ziel erreicht hatten, schmerzte Annas Rücken ein wenig und Bernd küsste ihre Wange. Die Großmutter wartete vor dem Bahnhof, sie griff nach Annas Arm während sie im Auto die wenigen Kilometer zu ihrem Haus fuhren, sie sagte wie immer. „So groß seid ihr geworden.“

Später waren sie auf der Terrasse gesessen, Anna hatte eine Decke um ihre Beine gewickelt und nippte an einem Glas mit Holundersaft. Bernd hatte von der Welt erzählt, die es zu entdecken gäbe und als sie gegen Abend wieder Richtung Bahnhof fuhren, überkam Anna eine zufriedene Müdigkeit, die sie die gesamte Zugfahrt an Bernds Oberarm gelehnt schlafen ließ.

Anna hatte damals gedacht: Es würde immer so weiter gehen. Sie hatte nichts in Frage gestellt, sie war glücklich gewesen in jedem Moment. Im Nachhinein erschien ihr das bald alles absurd naiv und sie versuchte, nicht mehr an das Gefühl zu denken, dass sie damals umhüllt hatte und unverletzbar gegenüber allen Bosheiten ihrer Umgebung machte.

Anna legte den Telefonhörer auf das Fensterbrett, sie blickte aus dem Fenster, sie dachte an das weiße Haar der Großmutter, das sich nie bewegt. Sie biss sich auf ihren rechten Zeigefinder, sie ging schließlich bedächtig ins Schlafzimmer, wo auf dem Kasten ein leere Rucksack lag, in den Anna nach und nach einzelne Kleidungsstücke packte, ohne eines wirklich anzusehen.

Anna goss noch einmal die Blumen, sie setzte sich danach vor den dunklen Fernseher und beschloss diese Nacht im Wohnzimmer zu schlafen und den ersten Zug am nächsten Morgen zu nehmen. Sie fragte sich, wie es der Großmutter wohl ginge, ob ihr rechtes Knie immer noch so schmerzte und ob ihre Stimme heiser klang. Sie erinnerte sich an die Sommerurlaube, damals als Kind bei ihren Großeltern, der Großvater war damals schon einem Gespenst ähnlich gewesen, wie er auf seinem Stuhl vor der Balkontür trohnte und bedächtig eine Zigarette nach der anderen rauchte. Dachte Anna an den Großvater der längst begraben war, so fiel ihr meist nur das Wort bleich ein und sie fragte sich, ob die Großmutter und der Großvater früher glücklich waren, in den alten Zeiten, von denen Anna nur Bilder kannte, Bilder von Menschen mit ernsten Gesichtern. Anna erwachte zwei Stunden zu früh und blieb mit offenen Augen im Bett liegen, sie starrte an die Decke, sie starrte aus dem Fenster, sie starrte auf das Foto, das Bernd und sie an einem Strand in Kroatien zeigte, sie beschloss es von der Wand zu nehmen. Als Anna schließlich aufstand, sich kurz die Zähne putzte, um danach eine ihrer alten verwaschenen Jeans anzuziehen und ein kariertes Hemd dazu, da war ihr Entschluss vielleicht bereits gefallen. Sie nahm die Tasche, sie strich über das Kopfende des Bettes, sie drehte den Schlüssel in der Wohnungstür zweimal um.

Im Zug versuchte sie sowenig wie möglich zu denken, die Großmutter umarmte sie lange am Bahnsteig. Anna trank Kaffee auf der Terrasse, ein weiteres Mal mit einer Decke um ihre Beine geschlungen, sie hörte der Großmutter zu, die von ihren Knieleiden erzählte, von der Heimhilfe, die sie wohl bald anstellen müsse und von dem Herbst der schon zu lange dauerte. Anna hörte zu und dachte zwischendurch an das kleine Zimmer unter dem Dach, in dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatte. Vor dem Fenster flogen im Frühjahr Amseln vorbei und der Regen war laut in der Nacht. Anna griff nach der Hand ihrer Großmutter, sie lächelte diese an und sagte: „Ich würde gerne bei dir bleiben.“

Das ist der Herbst

An den Wochenenden wandern wir durch den Wald, klettern auf Warten und bestaunen Wildschweine. An den anderen Wochenenden sitzen wir mit kurzärmeligen Shirts in der Sonne und möchten nicht, dass es jemals anders wird. Wir essen Erdmandeln, die es nur nach den ersten Frost gibt und freuen uns, dass wir jenen anscheinend verschlafen haben.

Später dann Picknick im Augarten, zwischen Blättern, Gänseblümchen und einem Löwenzahn. Da sind Kinder die Drachen steigen lassen und Verliebte die sich auf Parkbänken küssen. Da sind Menschen die einen Ball hin- und herschupfen und da ist ein Hund, der eigentlich aussieht wie eine Katze.

Da sind vor Allem wir, die wir den besten Pflaumenkuchen essen und die schönsten Gespräche führen. Da sind wir und wir sind alle wunderschön an diesem Tag, so wunderschön wie der Herbst, wie der November und all diese Gesten zwischen den Menschen, die von Wahrheiten erzählen, die man nie wieder vergessen möchte.

(Photos © Delal Isci)

Ein wenig Herbst

Seit einer Woche ist der Sommer vorbei. M. und ich saßen in den Ottakringer Weinbergen und tranken den ersten Schluck Sturm des Jahres. Kurz darauf kamen A. und S. zurück zum Tisch, wir aßen Kümmelbraten und trugen Hauben. Da hat das offiziell angefangen mit dem Herbst.

S. lebt in einem Haus, in dem früher seine Großeltern gewohnt haben, ein wenig ist das wie bei mir, nur dass ich in einer Wohnung fremder Großeltern wohne, aber ihre frühere Anwesenheit spürt man bei jedem Schritt. Die fremden Großeltern sind schon Jahre tot, aber hinter den Öltanks liegen noch die Programmhefte der Staatsoper von 1997, im Alibert finden sich ungebrauchte alte Rasierklingen und der Wasserkrug, den ich oft benützte, war anscheinend der ihre.

Ich bin alleine mit den Dingen dieser alten Menschen. Seit einer Woche bin ich das schon und plötzlich wirkt die Wohnung noch ein wenig größer. In den Zimmern stapeln sich entweder die Dinge, die entsorgt werden sollen oder sie sind vollkommen leer. Nur die Kronleuchter hängen noch da, als hätten sie es nicht mitbekommen, dass hier bald etwas zu Ende geht oder als wäre es ihnen egal. Ich schalte sie ein und schalte sie wieder aus. Ich sitze auf diversen Fensterbänken. Ich schließe und öffne die Türen. Nie hat mir jemand erzählt, wie unheimlich es sich anfühlt, wenn alle Türen die zu diesem Schlafzimmer führen geöffnet sind.

Die Menschen kommen vorbei. Alle wollen sie noch einmal aus den Fenstern blicken oder noch einen Kaffee trinken, noch einmal das Bleiglas im Gang berühren oder in den goldenen Spiegel schauen. Ich gehe einen Schritt hinter diesen Menschen nach und wünsche mir, dass wir einfach alle stehenbleiben könnten, nur noch ein paar Wochen, oder Monate oder den ganzen Winter. Vielleicht fühlt sich dann alles besser an. Und es ist plötzlich richtig, diese Wände hinter sich zu lassen, wenn auch nur ein wenig, das wäre schön.

Im Moment aber frisst ein seltsames Gefühl ein Loch in den Bauch, denkt man an den baldigen Auszug. Das Gefühl kommt von innen und manchmal lässt es mich nachts aufwachen und ich höre dann dem Boden zu, wie er knarzt und kracht. Ich habe wieder eine Taschenlampe im Nachttisch liegen und ich gehe Gespenster suchen, die ich aber nicht finde.

Am nächsten Tag ist dann Besuch aus Berlin da und wir wandeln alle durch die Räume und nach dem Kochen waschen wir nicht mehr ab, sondern schmeissen die Auflaufform in den Müll. Ich denke: Das ist Dekadenz. Aber das denke ich nur kurz und gehe dann zurück in mein Wohnzimmer, wo ich D. das Holz reiche und er ein letztes Mal den Kachelofen einheizt und später seine Hand auf meinen Rücken legt, woraufhin ich mit den Schultern zucke und die Stunden einem immer noch durch die Finger rinnen.

Abends spielt Mary dann ein Konzert in einem der leeren Zimmer. Die Leute strömen zur Tür herein und trinken Wein und Bier. Sie sitzen auf dem Boden und sie verschwinden in den Zimmern. Vierzig Menschen und doch ist ein jeder alleine, wenn er es will. Das ist ein Glück, hier gewohnt haben zu dürfen, sagt jemand. Und ich denke mir, dass diese Person eine Weisheit besitzt, die ich noch nicht kenne.

Morgens steht Mary dann im Zimmer und sagt, dass wir aufstehen müssen, es wäre Zeit zum Frühstücken. Der Kaffee schmeckt bitter an diesen Tag und die Füße sind kalt. Nur wenige Stunden später fährt der Besuch und statt ihm sind zwei Männer in der Wohnung, die die Ölöfen mitnehmen und die dazugehörigen Tanks. Die Männer schnauben und machen komische Witze. Ich sitze in einer der Ecken und schaue ihnen zu.

Und dann ist schon wieder Wochenende, das letzte das ich hier verbringe. Würde ich wollen, könnte ich ohne Probleme eine mehrseitige Liste machen, von Dingen, die ich in dieser Wohnung noch machen sollte. Aber ich fühle mich dafür zu müde und weiß, es macht es auch nicht einfacher. Stattdessen denke ich an Montag, an das letzte Konzert und an meine Lesung, die hier noch stattfinden wird, an all die Leute, die ihr Kommen angesagt haben und daran, dass soviel neues wartet, in all diesen Städten die bald kommen.

Ich denke auch an Brahms, der früher einmal in der Wohnung über dieser wohnte und ich denke an die Moleküle, die vielleicht immer noch im Stiegenhaus herumflirren, gemeinsam mit denen der fremden Großeltern und gemeinsam mit meinen. Es ist eine tröstliche Vorstellung, es lässt mich tief ein- und ausatmen und dann die Schuhe nochmals enger schnüren, die Türe ins Schloss fallen und kurz die Augen schließen. In diesen Momenten hätte ich gerne Riesenhände, in denen ich mich selbst halten könnte und ein wenig wiegen. Ich glaube, Brahms fände das auch nicht verkehrt. Ich bin mir sogar ziemlich sicher.